Teil 1 – Rechte Formierung durch die Hintertür

Posted by noquerdenken on 2020/12/16

Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand und Hygiene-Demos
Der Ausbruch des Coronavirus hat in Deutschland seit dem Frühjahr 2020 für einen Boom an Verschwörungstheorien um die Entstehung des Virus gesorgt. Mit dem Einsetzen der Schutzmaßnahmen seitens der Regierung entwickelte sich eine stärker werdende Internetbewegung, die durch viele Menschen getragen wurde, die sich durch das gesamte Pandemie-Szenario verunsichert fühlten und nach Erklärungsansätzen suchten.

Für Verschwörungsgläubige und extrem rechte Medienaktivist*innen war das Aufkommen der Pandemie mit all ihren Folgen ein willkommenes Ereignis um ihre Welterklärungsansätze einem breiten Publikum zugänglich machen zu können. Die Personen und Gruppen hinter diesen rechten Plattformen sind keine Hobbyfilmer*innen oder „einfach normale Leute, die mal nur ihre Meinung sagen“. Das ist es zwar was die verwackelten Livestreams, das Instagramposting vom Küchentisch und sonstige Aufnahmen aus dem Privatleben rechter Medienaktivst*innen vermitteln sollen, die Realität ist jedoch die, dass hier mit einem hohen Grad an Professionalisierung gearbeitet wird und dass hinter diesen Personen und Gruppen teilweise über Jahre gewachsene Netzwerke stehen. Hierbei geht es nicht nur um die Verbreitung von Meinung, sondern um ein ertragreiches Geschäftsmodell, das mit Klicks und Spenden die Geldbeutel der rechten Youtube- und Blogszene füllt. Eines der kommerziell erfolgreichsten Medien aus diesem Bereich ist das Portal KenFM, welches bereits in den ersten Tagen der Pandemie die sich für Verschwörungserzählungen ergebenden Möglichkeiten erkannte. Inzwischen existiert eine eigene Szene von Youtube- und Telegram-Kanälen, die sich ausschließlich und 24 Stunden am Tag dem Thema Verschwörungsszenarien rund um Corona widmen. Neben diesem Bereich der sogenannten „freien Medien“ entstand ab Mitte des Jahres 2020 vor allem um die Querdenken-Bewegung eine eigene kleine Demonstrations-Industrie aus Webdesigner*innen Veranstaltungstechnik-Anbieter*innen, Moderator*innen, Busunternehmen und Rechtsanwaltskanzleien, die sich mit den sogenannten Corona-Protesten eine komplett neue und durchaus ertragreiche Einnahmequelle schufen.

Im Bereich der sogenannten „freien Medien“, bedienen einzelne Youtuber*innen jeweils unterschiedliche Verschwörungsmythen und politische Schwerpunkte, die anhand verschiedener Internethypes und Gesellschaftskrisen (z.B.Ukraine-Konflikt oder sog. „Flüchtlingskrise“ 2015) in den letzten Jahren von diesen Akteuren weiterentwickelt und verfestigt wurden. Offen rassistische Töne werden von vielen dieser Youtuber/Blogger*innen aktuell nicht vorgetragen. Ihr Fokus liegt auf Corona-bezogenen Themen. Beim durchforsten der Timelines dieser Medienkanäle wird jedoch schnell klar, dass sie außerhalb der Thematik Covid-19 regelmäßig rechte Inhalte reposten oder selber produzieren. Der Autor und Socialmedia-Propagandist Heiko Schrang suggeriert unter anderem in einem seiner Videos, der rassistische Anschlag in Hanau sei intendiert worden. Der rechte Attentäter Tobias Rathjen, der neun Menschen aus dem Leben riss, soll dies nur getan haben, um die Notwendigkeit eines kurz danach verabschiedeten Antidiskriminierungsgesetzes zu bekräftigen. Schrang suggeriert dies jedoch ohne Beleg. Denn: „Er stellt ja nur Fragen“, so wie alle rechten Blogger*innen – „einfach nur Fragen“ stellen.

Oliver Janich, Samuel Eckert, Heiko Schrang

Das Fragenstellen hat es ihm angetan, besonders an populäre Personen der Rechten, die sich allesamt auf Heikos Interviewsessel wiederfinden. Auf Schrangs Mediennetzwerk werden wir später genauer eingehen. Herausgegriffen haben wir ihn an dieser Stelle, weil er ein gutes Beispiel dafür ist, wie Verschwörungs-Blogger über Erklärungsangebote zu den Themen rund um Corona Publikum in ihre digitalen Filterblasen ziehen, über die sie dann mit rechten Inhalten in Kontakt kommen. Über die Identifikation mit diesen selbsternannten Querdenkern, wird eine Beschäftigung mit ihren sonstigen Inhalten befördert – auch denen die nichts mit Lockdown und Maskenpflicht zu tun haben. Wenn es hier keinen offenen Antisemitismus oder rechte Zuschreibungen zu hören und zu sehen gibt, dann erfolgt zumindest die Delegitimierung von Antifaschismus und eine Normalisierung von knallharten Rassisten, durch die Einladung in die Interviewformate dieser Social-Media-, Video- und Blogszene. Es ist eine Normalisierung von Rechten und damit eine reaktionäre Zuspitzung durch die Hintertür, deren Einstiegsfeld das Corona-Thema ist.

Interviews mit rechten Akteur*innen sind dann in der Regel kein kritisches Nachbohren, kein Auf-den-Zahn-fühlen, sondern meist ein gemütlicher Plausch, der damit endet, dass sich das selbstreferenzielle Netzwerk darin einig ist, dass die eigene Meinung ja nicht frei geäußert werden dürfe. Der offensichtliche Umstand, dass sie in diesem Moment ein Video aufnehmen, das später von tausenden Menschen gesehen wird, wird ausgeblendet. Sie eint die Ansicht, dass wir in einer Art Diktatur leben würden, völlig ungeachtet der Tatsache, dass ihnen andernorts auf der Welt nicht nur der Twitteraccount gesperrt werden würde, sondern sie vielleicht auch hinter Gittern verschwinden würden. Nicht wenige dieser Akteure feiern oft gleichzeitig gelenkte Demokratien wie Putins Russland ab.

Diese unter neonazistischen, verschwörungsideologischen, neurechten und esoterischen Medienaktivist*innen gängige Annahme, schafft einen Bezugspunkt zur Corona-Thematik. Das entworfene Konstrukt der „Merkel-Diktatur“, welches durch Rechte aller Couleur im Zuge des „Sommers der Migration“ (2015) konstruiert wurde, konnte nun während der Corona-Schutzmaßnahmen in den Pandemie-Kontext übertragen werden. Die Merkel- und die Corona-Diktatur sind somit Synonyme für ein und dieselbe Sache. Ein autokratisches Regime, das von einer ehemaligen FDJ-Sekretärin geleitet werde, die nur der EU gehorche, das Volk nicht für voll nehme und die Souveränität der BRD vollends untergraben wolle.

Für einige Menschen, die nicht bloß Ängste um ihre persönlichen Freiheiten hatten, die sie im Zuge des Lockdowns massiv gefährdet sahen, sondern die eben auch ihre beruflichen Existenzen verloren, war diese Argumentation durchaus ansprechend. Eine Regierung die nicht auf die Bevölkerung hört, braucht eine Opposition und als diese konnte sich das Spektrum der selbsternannten Corona-Skeptiker*innen aufspielen. Auch die Grundaussage, dass es kein links und rechts mehr gäbe, sondern nur die Bevölkerung gegen die Regierung ist ein attraktives Angebot, da es Menschen aus der Verantwortung nimmt, sich politisch positionieren zu müssen. Dieses (rechte) Konzept der Zusammenarbeit von Rechten und Linken wird hinlänglich als Querfront bezeichnet und ist, betrachtet an den verschieden Querfront-Versuchen in der Vergangenheit, immer wieder gescheitert.
Linke Vorstellungen einer egalitären Welt, in der alle die gleichen Möglichkeiten und Verantwortungen haben, widersprechen rechten Ideologien, die einen zentralistischen und autoritären Staat fordern, der ethnisch und religiös homogen ist und in dem das Recht des Stärkeren zählt. Darum ist eine klare Abgrenzung gegen rechte Ideologien gerade in sozialen Kämpfen stets notwendig, denn diese vertreten keine „unten gegen oben“-Position, sondern allenfalls Klassenkampf von oben, in dem Migrant*innen, Jüd*innen, Transmenschen usw. nicht Teil des Ganzen sind. Vielmehr geht es ihnen darum diese Menschen zu stigmatisieren. Nach dem Sieg der Corona-Rebellion, kommt die Nacht der langen Messer und die würde für den Teil der Querfrontaktivist*innen, die nicht rechts genug sind schlecht ausgehen.

Um diese doch recht widersprüchlichen Positionen in einer gemeinsamen Protestbewegung zusammenführen zu können, bedarf es gerade für deren besonders unappetitliche Anhänger*innen eines zivilen und fortschrittlichen Anstriches. Der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ (KDW) kommt diese Funktion zu. Mit der Organisierung der ersten „Hygiene-Demos“ am Rosa-Luxemburg-Platz gab die KDW den Startschuss für die bundesweiten Corona-Querfront-Proteste und wirkte stilbildend für diese. Ob Stuttgart, Leipzig oder Berlin: Hippies, Esos, Nazis, AfD alle auf einer Demo.

So formuliert schreibt die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ (KDW) auf ihrer Website: „Der deutsche Bundestag beschließt sein Ermächtigungsgesetz. Wir sollen ein Jahr lang in einer de-facto-Diktatur leben. Deren System ist derweil am Ende.“. Auf Stickern die zwischen März und Mai, vor allem nach den Hygienedemos häufig in Berlin geklebt wurden heißt es unter anderem: „Damals Adolf H. / 1933 – heute Corona“. Diese Argumentation verharmlost durch die Gleichsetzung der Corona-Maßnahmen mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten zum einen deren Verbrechen und zum anderen liefert sie den Corona-Skeptiker*innen die Argumentationsgrundlage, dass sie sich im antifaschistischen Widerstand befänden. Wenn die Pandemie-Maßnahmen den Ermächtigungsgesetzen gleich kommen, dann ist die Regierung, welche die Maßnahmen umsetzt folgerichtig faschistisch und deren Gegner*innen in Opposition zu einer Art neuer Naziherrschaft.

Die KDW, welche im Lockdown mit ihren „Hygienedemos“ am Rosa-Luxemburg-Platz die ersten Proteste gegen die sogenannte „Corona-Diktatur“ organisierte, zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie dieser Querfront ein ziviles Gewand verpasst, was vor allem durch die Publikation und Verbreitung ihrer Massenzeitung geschieht. Das Printmedium findet bundesweit Verbreitung und bestückt die Querfront aus Eso-Hippies, AfD‘lern, rechten Medienaktivist*innen und Verschwörungsfans mit einer eigenen Publikation und einer auf den ersten Blick liberal wirkenden Agenda. Ihre Massenzeitung führt mitnichten dazu, dass rechte Gegner*innen der Corona-Maßnahmen ihr Weltbild liberalisieren, vielmehr erfüllt die Publikation eine Feigenblattfunktion, welche den Rechten mehr als gelegen kommt. Sie vermittelt nach Innen und nach Außen, dass rechte Positionen und Protagonist*innen willkommen sind. Die Praxis, dass rechte Medienakteur*innen, wie zum Beispiel Matthäus Westfal („Aktivist Mann“) auf allen Bühnen der unterschiedlichen Corona-Protestgruppen sprechen können, überführt diese Einladung für Faschisten in die Realität.

Udo Voigt auf „Hygienedemo“ am 16.05.2020 mit T-Shirt gegen „Impfzwang“, Foto: Friedensdemo-Watch

Für Rechte verschiedener Couleur ergibt sich dadurch die Möglichkeit neue Zielgruppen, wie das Spektrum der Impfgegner*innen zu erreichen, als deren Vertreter*innen sie sich inszenieren. Um dies kurz zu illustrieren: Als klar wurde, dass die sogenannten „Hygienedemos“ am Rosa-Luxemburg-Platz ein Hype werden, dass dort alle willkommen sind und auch erste Nazihoolgruppen an den Versammlungen teilnahmen, tauchten verschiedene rechte Führungskader wie Udo Voigt (Ehem. NPD Vorsitzender und ehem. Europaabgeordneter) oder Eric Graziani (Patriotic Opposition Europe) auf. Rechte Aktivist*innen und Blogger verweigerten die Hygienemaßnahmen einzuhalten und ließen sich daraufhin von der Polizei medienwirksam verhaften und wegtragen. Dies war Teil und Geburtsstunde einer bewussten und seitdem immer wieder wiederholten Selbstinszenierung als „die einzig wahren“ Widerstandskämpfer*innen gegen die „Corona-Diktatur“. Nur eine Woche nach den Auseinandersetzungen zwischen Nazihooligans und Polizei auf dem Alexanderplatz am 09.05.2020, lief Udo Voigt am selben Ort mit T-Shirt gegen „Impfzwang“ im NPD-Design auf. Ein Produkt das uns bislang nicht aus dem NPD-Shop geläufig war und das auch sonst kein Kernthema der Partei darstellt. Nach einem anfänglichen Schlingerkurs der AfD-Führung und einzelner Landes- und Kreisverbände in Bezug auf die Corona-Thematik, meldete die Partei ab dem späten Frühling 2020 auch eigene Kundgebungen gegen die Corona-Maßnamen u.a. durch Beatrix von Storch an. Von einer anfänglichen Kritik seitens der AfD am “späten Durchgreifen der Regierung” war nun nichts mehr zu hören.

Aktuell stehen die Parteien des organisierten Neofaschismus in Deutschland nicht unbedingt als Gewinner der Corona-Krise da. Sie können das Virus nicht an migrantischen Personengruppen oder Geflüchteten festmachen, da Viren Herkunft und Geburtsort egal sind. Dies sprengt beispielsweise das bisherige Erfolgskonzept der AfD. Wenn sich die Corona-Krise zu einer handfesten Wirtschaftskrise auswächst wird der organisierte Neofaschismus aber wiederum als politische Kraft ins Geschäft einsteigen und von der Krise profitieren können. Hier werden AfD und Co. mit ihrer „Anti-Establishment“-Rhetorik versuchen zu punkten. Bis dahin macht es für die organisierte Rechte aber weiterhin Sinn alles mitzunehmen, was an Querfront-, Corona-, und Impfgegner*innen-Protesten aufploppt. Halten sie weiter den Kontakt, können sie sich in einer noch mehr zugespitzten gesellschaftlichen Situation als deren Stimme im Parlament etablieren.

Corona ist der inhaltliche Lockstoff, um Menschen in Querfront-Socialmedia-Filterblasen zu locken, von wo aus eine weitere rechte Radikalisierung vollzogen wird. Aus diesen Politisierungsprozessen entstehen im schlimmsten Fall radikalisierte Impfgegner*innen, die mit Waffengewalt gegen missliebige Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen der vorgeblichen „Merkeldiktatur“ vorgehen. Die organisierte Rechte wiederum erhält dadurch anpolitisiertes „Menschenmaterial“. Ein Hauptproblem sehen wir im Zusammenhang mit der Corona-Krise aktuell nicht so sehr in den organisierten Faschist*innen, sondern in Querfrontler*innen und Liberalen, die sich durch ihr Vorgehen zum Türöffner für eine neue große rechte Formierung durch die Hintertür machen.

 

Kommunikationsstelle Demokratischer Niedergang oder: Hendrik, Anselm und Anne tanzen das Toleranz-Paradoxon
Eine ernstzunehmende Abgrenzung nach rechts gab es bei den, von der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ ins Leben gerufenen, sogenannten Hygiene-Demos nie. Das Gegenteil war immer der Fall. Rechte und extrem Rechte aller Couleur fühlten sich auf den Hygienedemonstrationen wohl und willkommen. Kein Wunder, sprachen doch die Veranstalter*innen, allen voran Anselm Lenz, vom ersten Tag an und mit wachsender Begeisterung vor allem mit rechten Blogger*innen, rechten YouTube-Kanälen und rechten Journalist*innen. Dort hatten sie ihr Klatsch-Publikum gefunden, dort hörte man ihnen begeistert zu, und dort gab es auch all die anstrengende Kritik nicht, die ihnen von manch „etabliertem“ Medium entgegengebracht wurde. Aber eine Abgrenzung von rechten Positionen und Akteuren war von Lenz, Sodenkamp und Co. auch nie gewollt. Der späte und halbherzige Versuch einer Abgrenzung von einem einzelnen, extrem rechten Youtuber, war genauso erzwungen wie folgenlos. Als bereits klar war, dass zur Hygiene-Demo am 25.04.2020 neben Stefan Bauer, dem „Compact-Magazin“ und dem verurteilten Holocaustleugner Nikolai Nerling auch NPD, Identitäre und AfD auf dem Rosa-Luxemburg-Platz erschienen waren, bezeichneten Hendrik Sodenkamp und Anselm Lenz in einem Video die Teilnehmer*innen genau dieser Demonstration als „Querschnitt der tollsten Leute aus ganz Berlin“. Klarer und positiver kann man sich zu Rechten und Neonazis nicht positionieren, und diese verstanden die Einladung von Sodenkamp und Lenz sofort. Was folgte war so logisch wie absehbar. Innerhalb von nur zwei Wochen wuchs die Anzahl der bekannten Neonazis auf den Hygiene-Demos soweit an, dass es am 9. Mai schließlich auf dem angrenzenden Alexanderplatz zu rassistischen Übergriffen und zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Das massive Auftreten rechter Hooligans mit, inzwischen auch offen zur Schau gestellter, Nazisymbolik und die extrem aggressive Stimmung auf dem Alexanderplatz, führten an diesem Tag zu einer ersten direkten Konfrontation der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ mit ihrem so treuen wie deutschen Publikum. Hendrik Sodenkamp rief auf dem Alexanderplatz mehrfach „Nazis Raus“. Das Ergebnis war eine rasch anwachsende Traube an Hygiene-Demonstrant*innen, die ihn daraufhin lauthals als „Spalter“ beschimpften. „Jeder darf seine Meinung haben“ war wiederholt zu hören. Eine Parole, die in ihrer so einfachen, wie gefährlichen Fehlinterpretation von Einigkeit und Freiheit, beispielhaft dafür steht, wie fast jede rechte Querfronterzählung funktioniert.

Hendrik Sodenkamp (Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand) auf „Hygienedemo“ am 09.05.2020

Sodenkamp war sichtlich überfordert und zog sich, immer noch umringt von brüllenden Demonstrant*innen, zurück. In einem späteren Interview formuliert er nochmal sehr deutlich aus, warum in seiner Wahrnehmung bis zu diesem Tag keine Rechtsradikalen auf den Hygienedemos gewesen sein können. „Warum hast du jetzt erst Nazis Raus gerufen, waren da denn nicht vorher auch schon welche auf den Hygiene-Demos?“ wird er gefragt. Sodenkamp antwortet, bisher seien dort nur „normale Menschen (…) Handwerker, junge Menschen, alte Menschen“ gewesen. Auf dem Alexanderplatz habe er aber richtige Neonazis „mit Hakenkreuztätowierungen, mit Runenzeichen“ gesehen. Wenn solche richtigen Neonazis wieder auf den Hygiene-Demos auftauchen, sollten die anderen Demonstrationsteilnehmer*innen einfach sagen „Stopp! Geht nach Hause und macht was Schönes“. Ein naiveres Bild davon, wer oder was „richtige“ Neonazis seien und wie man ihnen konkret begegnet, lässt sich wohl kaum formulieren. Wäre Sodenkamp bei diesem Interview nicht tatsächlich auch noch am Ufer eines kleinen Sees gesessen und die Vöglein hätten im Hintergrund gezwitschert, man hätte es dazu erfinden müssen.

Anfang Mai setzt die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ einen Link mit dem Satz „Wer für das Grundgesetz steht, steht gegen Nazis.“ auf ihre Website. Verlinkt wird ein Text des Journalisten und Hygiene-Demonstranten Uli Gellermann (Weltnetz.tv und KenFM) in dem dieser schreibt, warum Nikolai Nerling nichts auf den Hygiendemos verloren habe. Nerling, der zu diesem Zeitpunkt hinter den Hygiene-Demos und ihren Macher*innen gerade den „Bolschewismus“ zu erkennen meint, fasst dies als Kriegserklärung auf und arbeitet sich in mehreren Videos an Lenz, Sodenkamp und Gellermann ab. Die zunehmende Konfrontation mit der rechtsradikalen Realität auf ihren Demonstrationen führt intern zu ersten Brüchen zwischen den Veranstalter*innen.
In den folgenden Wochen zerfasern sich die zahlreichen Mobilisierungen diverser Kleingruppen und Telegram-Kanäle zu unterschiedlichen „Hygiene-Spaziergängen“. Angesichts der erfolgreichen antifaschistischen Gegenaktionen auf und um den zentralen Rosa-Luxemburg-Platz, verliert die Querfront den Ort und versucht sich an gemeinsamen Demonstrationen mit Gruppen aus dem Reichsbürgerspektrum im Tiergarten und Regierungsviertel. Die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ versucht einen neuen, ebenfalls öffentlich eher als „linksalternativ“ wahrgenommenen Ort für ihre Treffen zu etablieren und mobilisiert in den Mauerpark. Erstmals wird hier aus der vormals „stillen“ Versammlung eine Kundgebung mit Redner*innen und „offenem“ Mikrofon. Das bisherige Fehlen von Redebeiträgen erweist sich hierbei als Stärke, angesichts der extrem heterogenen Zusammensetzung der Hygienedemonstrant*innen. Mit den Reden werden nun Inhalte deutlich und auch nötig.

 

Der Mythos von der gekaperten Bühne
Bis heute ist das Verhalten in und um die Gruppe und ihr Umfeld gleich: Jede Kritik (vor allem an rechten Positionen und Akteuren) wird, kommt sie von außen als Angriff, kommt sie von innen als Spaltungsversuch niedergebügelt. Das Credo der neuen „Hygiene-Bewegung“ bleibt: Alles darf gesagt werden, jede und jeder muss gehört werden. Selbst offen rassistische oder nationalsozialistische Akteur*innen werden unter dem Denkmantel der „Meinungsfreiheit“ ans Mikrofon gebeten. Rechtsradikale, antisemitische und rassistische Positionen werden so zu legitimen Meinungen und müssen angehört werden. Kritik daran ist automatisch antidemokratisch und spalterisch. Diese so einfache wie gefährliche Erzählung, die schon die „Montagsmahnwachen für den Frieden“ zu einem Sammelbecken für Rechtsradikale und Antisemiten werden ließ, wird auch für die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ zur braunen Sackgasse.

Roald Hitzer (Demokratisches Forum), Neonazi und Holocaustleugner Nikolai Nerling (Volkslehrer)

Am 6. Juni 2020 ruft die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand “ zusammen mit den Berliner „Corona Rebellen“ um Max Brüggemann, dem „Demokratischen Forum“ (Roald Hitzer) und der „Freedom Parade“ um den als Captain Future auftretenden Selbstdarsteller Michael Bründel aus Berlin Friedrichshain zu einer „Großdemonstration aller Gruppen“ an der Siegessäule auf. Nikolai Nerling kündigt lange vorher schon sein Kommen zu dieser „Großdemonstration“ an, man hätte also gewarnt sein können. Das Kern-Team des „KDW“ meidet zu diesem Zeitpunkt bereits auffällig seine eigenen Demonstrationen in Berlin. Sodenkamp und Lenz treten lieber in Potsdam oder Erfurt auf und verbreiten dort die krude Geschichte, man dürfe in Berlin nicht auf seine eigenen Demonstrationen. So sind an diesem Tag nur der Rechtsanwalt Florian Daniel und die KDW-Sprecherin Anne Höhne im Tiergarten. Direkt zu Beginn der Veranstaltung erscheint Nerling, in Begleitung des rechten YouTubers Matthäus Westfal („Aktivist Mann“), meldet sich auch prompt als erster Redner ans Mikrofon und stellt sich kurz mit den Worten „Ich bin ein Rechtsradikaler“ vor. Bei der Moderation und den Veranstalter*innen auf der Bühne löst dies sichtlich Unruhe darüber aus, wie nun mit Nerling, dem Neonazi den man doch eigentlich ausgeladen hatte, umzugehen sei. Nach kurzer Diskussion entscheidet man sich dafür, das Publikum abstimmen zu lassen, ob der bekennende Rassist und Holocaustleugner reden darf. Eine klare Mehrheit der Hygiene-Demonstrant*innen entscheidet sich dafür, dem Neonazi die Bühne und das Mikrofon zur Verfügung zu stellen. Nerling freut sich sichtlich und hält seine übliche Rede. Im Anschluss tauchen Florian Daniel und Anne Höhne auf und zeigen sich verärgert über Nerlings Auftritt. Die Konsequenz ist, dass Anne Höhne sich in einer 10-Satz-Rede auf der Bühne im Namen des „KDW“ und der „Corona-Rebellen“ von Nerlings Auftritt distanziert und danach geht die Veranstaltung wie geplant weiter. Dass das Publikum, welches dem Aufruf des „KDW“ gefolgt ist, den rechtsradikalen Hetzer nur wenige Minuten vorher mehrheitlich auf die Bühne gewählt hat, scheint weder Anne Höhne noch sonst wem zu denken zu geben. Einige Minuten später erklärt ein Redner, er „würde Adolf Hitler hier durchaus auftreten lassen“, man könne sich dann mit seinen Thesen auseinandersetzen. Im Anschluss sprechen Eric Graziani (Patriotic Opposition Europe) und Stefan Räpple (AfD). Der Ablauf dieser Kundgebung der KDW steht in so vielen Punkten beispielhaft für das rechtsoffene Gebaren innerhalb dieser neuen Bewegung und die ganz bewusste Verweigerung, Rechtsradikalen und bekennenden Neonazis den Zugang zu den Bühnen, Megaphonen und Kanälen der Bewegung zu verweigern.

In den folgenden Tagen veröffentlichen Martin Lejeune, der sich schon sehr früh als Hofberichterstatter der KDW und Querdenken herauskristallisierte, und andere sogenannte „freie Medien“, Interviews und Statements, die eine Geschichte verbreiten, die auch in den Telegram-Gruppen der Bewegung kursiert und von der Bühne handelt, die der Volkslehrer angeblich „gekapert“ habe. Dieser Versuch der Geschichtsverdrehung zugunsten der KDW-Anhänger*innen ist allerdings so plump, dass er nicht mal in den eigenen Reihen lange Bestand hat.

 

Der Widerstand frisst seine Gründer und spuckt sie wieder aus
Auf den darauf folgenden Veranstaltungen erscheint nicht nur Nikolai Nerling zusammen mit den rechten YouTubern „Aktivist Mann“ und „carville767“ wieder, es steht auch wieder der bekannte Neonazi Eric Graziani mit Ordnerbinde vor der Bühne, von der aus die Zeitung „Demokratischer Widerstand“ verteilt wird. Die erste Rednerin auf einer dieser Kundgebungen vor dem Brandenburger Tor betont, man dürfe sich nicht spalten lassen, erklärt dass der „Volkslehrer“ mehr Redezeit hätte bekommen sollen, bedankt sich herzlich bei Nikolai Nerling für seinen Mut und beklagt, dass Ulli Gellermann in seiner Rede bei der letzten Veranstaltung „gegen den Volkslehrer gehetzt“ habe und dass man ihm das Mikrofon dafür hätte abstellen sollen. Die Meinungsfreiheit am offenen Mikrofon der Hygiene-Demos endet eben immer dann, wenn ein Neonazi und Holocaustleugner kritisiert wird. Vom Kernteam der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ ist an diesem Tag gar niemand mehr auf der Veranstaltung. In internen Gruppen wird von Austritten und Streit berichtet. Auch im Kernteam beginnt es zu bröckeln.

Anselm Lenz, Hendrik Sodenkamp, Anne Höhne und der Rechtsanwalt Florian Daniel haben mit den Hygiene-Demos in Berlin eine der größten rechten Massenmobilisierungen Deutschlands nach Pegida ins Leben gerufen. In vielen Punkten erinnert die Entstehung und Entwicklung der sogenannten Hygiene-Demos, sowie Wandel und Radikalisierung ihrer Begründer*innen der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ und ihrer Anhänger*innen nach rechts, an die Friedens- oder Montagsmahnwachen und deren Entwicklung. Entstanden waren beide Bewegungen aus einer gefährlichen Mischung aus Verschwörungsgläubigen, Querfront und Menschen, die sich selbst mindestens so gerne reden hören, wie sie sich auf Fotos und in Videos sehen. Ein übersteigertes Sendungsbewusstsein und der Wunsch einer dramatischen, revolutionären Selbstinszenierung mischten sich hier mit der klassischen rechten Querfronterzählung vom Widerstand gegen die „linke Medienzensur“ und dem Kampf für die Freiheit, endlich wieder alles sagen zu dürfen was das deutsche Volk doch eigentlich immer schon heimlich denkt und hören will. Was an politischem Fundament fehlt, machen solche Türöffner faschistischer Meinungsmache an Geltungsdrang wieder wett. Umso gefährlicher ist das daraus resultierende Mobilisierungspotential. Ende des Jahres 2020 arbeiten Anselm Lenz und Hendrik Sodenkamp nun daran, Spenden für ihr geplantes „Verlagshaus Sodenkamp und Lenz“ zu sammeln. Für die Werbung zu ihren Veröffentlichungen nutzen Lenz und Sodenkamp unter anderem das verschwörungsideologische Youtube Format „Die Zorro Kenji Show“, das von Eric Protzner aus Berlin-Prenzlauer Berg betrieben wird. Dort unterhält sich Anselm Lenz mittlerweile freundschaftlich mit Nikolai Nerling und solidarisiert sich ganz offen mit dem verurteilten Holocaustleugner. Anne Höhne tritt nicht mehr als Sprecherin der KDW in Erscheinung, sondern produziert zusammen mit Martin Lejeune die Propaganda-Videos der Bewegung und umgibt sich dabei mit bekannten Rechtsradikalen und Antisemiten, wie Reza Begi. Politisch hat sich die KDW und ihre Zeitung der „Demokratische Widerstand“ schon lange von ihrem liberalen Image verabschiedet. Inzwischen schreiben dort, auf Einladung von Anselm Lenz, stramme Neofaschisten und die sogenannte Neue Rechte wie Benedikt Kaiser und Ellen Kositza.

Anselm Lenz (Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand) am 31.07.2020 vor dem Reichstag

Anselm Lenz, der sowohl im beruflichen wie in seinem engsten privaten und familiären Umfeld als extrem cholerisch und autoritär gilt, befriedigt sein Ego nicht mehr nur damit, Redaktionsmitglieder seiner Zeitung selbst zu erfinden, oder von Robben&Wientjes-Pritschen dramatisch „Avanti Popolo“ zu plärren, sondern ruft mittlerweile vor dem Reichstag anwesende Wutbürger dazu auf, sich an der von ihm vorher bekanntgegebenen Privatadresse von Jens Spahn zu versammeln um ihrer Wut dort freien Lauf zu lassen. Die Äusserungen von Lenz und Sodenkamp, die sich im Frühling noch selbst als „liberale Antifa“ bezeichneten, klingen am Ende des Jahres 2020 bedrohlich nach rechten Vernichtungsfantasien. Angesichts eines drohenden Demonstrationsverbotes im Vorfeld einer Querdenken-Demonstration in Bremen am 5. Dezember 2020 schreibt die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“: „Sollte die politische Klasse heute uns, den Menschen, den Krieg erklären, werden die Folgen absolut grausam sein. Insbesondere für die politmediale Klasse und deren Kollaborateure. Wer sich bisher dem Corona-Regime unterworfen hat, heute aber umkehrt (…), kann noch mit Amnestie (Strafverschonung) rechnen. Die Entscheidung sollte allerdings rasch getroffen werden“. Am 9. Dezember tritt Anselm Lenz unter dem Titel „Corona und die linken Verräter“ bei COMPACT TV als Interviewpartner von Jürgen Elsässer auf.

 

Die Hygiene-Bewegung der ersten Jahreshälfte 2020 und die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ exerzierten in ihrem Umgang mit Rechtsradikalen und Neonazis das Bilderbuch-Beispiel des Toleranz-Paradoxons durch. Damit boten sie rechtsradikalen, antisemitischen und faschistischen Positionen und rechten Verschwörungsideologien einen geradezu perfekten Boden, um sich im Schatten der Corona-Krise rasant zu verbreiten und bisher eher unpolitische bis rechtsoffene Zielgruppen zu erreichen, zu politisieren und zu radikalisieren. Die zu erwartenden Folgen des so weitergetragenen Hasses auf vermeintliche geheime Eliten oder Minderheiten werden sie nicht treffen. Was sie hinterlassen sind neue Wähler*innen für die AfD, neue Anhänger*innen rechter Verschwörungserzählungen, und viele neue Abonnent*innen rechter und rechtsradikaler Medien-Formate. Die Saat ist ausgebracht, die Rechten werden sie ernten. Und Lenz, Sodenkamp, Höhne und Co. werden sich in Berliner Altbauwohnungen zurückziehen, bei Bio-Kaffee ein wenig Marx oder Sezession lesen und darauf warten, wann Ken Jebsen mal wieder nach einem Interview fragt.

Sicherlich hat auch das Fehlen einer breiteren linken Diskussion um die Corona-Einschränkungen dazu beigetragen, der rechten Querfront hier einen Ansatzpunkt zu bieten. Aus antifaschistischer Perspektive ist dennoch im Sommer 2020 nicht alles falsch gelaufen. Die frühzeitige Gegenmobilisierung kostete die Querfront den Rosa-Luxemburg-Platz und schuf erste innere Konflikte. Ausführliche Recherche und Dokumentation konnten die rechten Akteure aufzeigen und ihnen die Deckung nehmen. Es bleibt eine wichtige Aufgabe für zukünftige antifaschistische Arbeit zu analysieren und zu diskutieren, was zu erfolgreichen rechten Querfrontmobilisierungen wie den „Hygiene-Demonstrationen“ oder den Montagsmahnwachen führen konnte und wie dem entgegengetreten werden kann. Die immense Wichtigkeit rechter YouTube-Aktivist*innen scheint uns hier zukünftig ein wichtiger Themenschwerpunkt sein zu müssen. Doch genauso gefährlich, wenn nicht gefährlicher, als die Faschisten selbst, sind deren Türöffner*innen, die entscheidend zur weiteren Normalisierung rassistischer, antisemitischer und faschistischer Positionen im Netz und auf der Straße beitragen. Anselm Lenz, Hendrik Sodenkamp, Anne Höhne und Florian Daniel sind persönlich wie politisch mitverantwortlich für den rechten Hass und die rechte Gewalt, die aus dem resultieren, was sie auf Veranstaltungen, zu denen sie mobilisierten, in den Köpfen vieler Menschen in den letzten Monaten befeuerten.

 

Querdenken – Mit Neonazis und Reichsbürgern für Frieden, Freiheit und Demokratie
Spätestens seit der Großdemonstration am 1. August 2020 im Berliner Regierungsviertel, ist Querdenken die führende Struktur innerhalb der neuen Corona-Querfront. IT-Unternehmer Michael Ballweg, Begründer und Frontfigur der Stuttgarter Querdenken711 kann auch als aktuell noch zentrale Figur der bundesweiten Querdenken-Bewegung gesehen werden. Die Endungen der verschiedenen lokalen Querdenken Gruppierungen ergeben sich aus den Postleitzahlen der jeweiligen Städte. Berlin hat seit August eine lokale Querdenken30 Gruppe. Bei der Großdemonstration von Coronaleugner*innen, Impfgegner*innen, Verschwörungsgläubigen und diversen Neonazi- und Reichsbürger-Gruppierungen am 1. August war Querdenken711 die zentrale Organisationsstruktur. Wie bei der Berliner „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ distanziert man sich bei Querdenken zwar immer mal wieder sporadisch von „Extremismus“, wenn es sein muss auch mal von Neonazis. Dennoch arbeitet Querdenken ganz unverhohlen mit Neonazi-Gruppierungen und diversen Playern der rechten und neonazistischen sogenannten „neuen Medien“ zusammen. Stephan Bergmann, ehemaliger Pressesprecher von Querdenken711 warnte im Internet vor einer „Vermischung der Rassen“ und der Züchtung einer „hellbraunen Rasse in Europa“ durch die der Intelligenzquotient der weißen Bevölkerung gedrückt werden solle. Neben seinen rassistischen Ansichten, teilt Bergmann Inhalte von Jürgen Elsässer und Sven Liebich. Elsässer rief später in einem eigenen Video selbst zur Teilnahme am Querdenken-Aufmarsch am 1. August auf. Michael Ballweg und Querdenken711 distanzierten sich bis heute weder von den rassistischen Aussagen ihres damaligen Pressesprechers, noch jemals von Demo-Aufrufen zahlreicher rechter und neofaschistischer Parteien, Gruppierungen und Einzelpersonen, von NPD bis zum Neonazi Nikolai Nerling. Zum wegen Volksverhetzung verurteilten Nerling hat Querdenken ein besonders enges Verhältnis. Der Neonazi war immer wieder gern gesehener Gast auf zahlreichen Querdenken Demonstrationen und wurde am 1. August vom damaligen Querdenken-Pressesprecher Stephan Bergmann an der großen Bühne mit einer freundschaftlichen Umarmung persönlich begrüßt. Bergmann und Nerling kennen und mögen sich. Bergmann tritt in Videos des Neonazis auf.

Neonazi Frank Kraemer, Jürgen Elsässer (Compact), Nana Domena

Ein anderer wichtiger Akteur der bundesweiten Querdenken-Demonstrationen, der auch schon einen Gastauftritt bei Nikolai Nerling absolvierte, ist Nana Domena, der vor allem durch das neurechte Youtube-Format „Multikulti trifft Nationalismus“ bekannt wurde. Nana Domena moderierte am 1. August auf der Querdenken-Bühne der Großdemonstration in Mitte und am 2. August auf der Veranstaltung der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ im Berliner Mauerpark. Seinen Auftritt im Video von Nikolai Nerling beendete Nana Domena mit einem lauten “White Lives Matter!”.
Nerling warb bereits vorher unter anderem bei einer Youtube-Videokonferenz beim rechten Youtuber Stefan Bauer zusammen mit einer Aktivistin von Querdenken713 für die Großdemonstration in Berlin. Diese und viele weitere Beispiele belegen, dass es bei Querdenken nicht nur keinerlei Berührungsängste mit Akteuren der extremen Rechten gibt, sondern dass diese und deren Anhänger*innen auch ganz gezielt von Querdenken hofiert werden. So ist es kein Zufall, dass auf der Demonstration am 1. August schließlich die extrem rechte Gruppierung „Patriotic Opposition Europe“ um den Neonazi Eric Graziani zusammen mit den sogenannten „Coronarebellen“ mit einem großen Truck teilnahmen. Michael Ballweg verwendete bei seiner Rede am 1. August das bekannteste Zitat der unter amerikanischen Rechten beliebten Qanon-Verschwörungsideologie „Where we go one, we go all“.

 

Die Rechten werden lauter – Von der Maskenpflicht zum Friedensvertrag
Der Ablauf des rechtsoffenen bis offen rechten Aufmarsches am 1. August in Berlin Mitte steht in seiner inhaltlichen wie örtlichen Choreographie geradezu beispielhaft für die Blitzradikalisierung nach rechts, die in und durch die sogenannten Corona-Proteste stattfindet. Fast bürgerlich wirkten die Zeitungsschwenker*innen der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ bei ihrer Vorabenddemo am 31. Juli 2020 noch. Am nächsten Tag, zur Großdemonstration für „Frieden und Freiheit“ waren bereits zahlreiche Reichsflaggen und antisemitische Anspielungen unter den Teilnehmer*innen zu sehen. Als am Abend schließlich die Querdenken-Kundgebung von der Polizei beendet wurde, und sich die ehemaligen Demonstrant*innen durch den Tiergarten in Richtung Hauptbahnhof entfernten, landeten sie ganz automatisch auf der Reichsbürger-Kundgebung des vorbestraften Ex-NPD-Mitglieds Rüdiger Hoffmann. Dort dominierten die Fahnen des Deutschen Reiches schließlich die bunten PEACE-Fahnen und es wurde vom Umsturz der Besatzer-Regierung, von Bürgerkrieg und einem neuen Deutschen Reich schwadroniert. Wer im Dunkeln schließlich auf dem Weg zu den Honk-For-Hope-Bussen noch am Kanzler*innenamt vorbeilief, hatte die Chance Attila Hildmann zuzusehen, der dort am Zaun sein neuestes neofaschistisches und antisemitisches Hetzvideo produzierte. Wer bis dahin noch nie Teil eines Neonazi-Aufmarschs war, hatte es spätestens dann geschafft einer zu sein und hatte nun, auf der maskenfreien Rückfahrt in die heimatliche Kleinstadt, genug Zeit um über die impfwütige zionistische Bolschewistin Merkel und die jüdische Weltverschwörung nachzudenken.

Die Demonstration am 1. August in Berlin stellt in der bisherigen Historie der sogenannten Corona-Proteste und ihrer offenen Radikalisierung nach rechts nur einen ersten, wenn auch wichtigen, kleinen Gipfel dar. Am 29. August durchbrachen Coronaleugner*innen, Verschwörungsgläubige und Neonazis die Polizeigitter vor dem Reichstag und stürmten, wie im Vorfeld angekündigt, ohne Gegenwehr der Berliner Polizei symbolisch die Stufen zum Reichstagsgebäude. In den vordersten Reihen waren auch an diesem Tag viele Personen wiederzufinden, die schon bei den frühen Protesten am Rosa-Luxemburg-Platz dabei waren. Neben dem Neonazi-Youtuber Nikolai Nerling, erlangte vor allem der rechtsradikale Youtuber und OCG-Mitglied Matthäus Westfal („Aktivist Mann“) durch seine Rolle auf der Reichstagstreppe bundesweit mediale Aufmerksamkeit. Vorausgegangen war dem sogenannten „Sturm auf den Reichstag“ am 29. August die „Mahnwache für Heimat- und Weltfrieden“ bei der vor allem Personen aus dem Reichsbürgerspektrum um staatenlos.info, gemeinsam mit bekannten Neonazis und ehemaligen Teilnehmer*innen des Berliner Querdenken-Camps, mehrere Wochen mit einer großen, professionellen Bühne direkt vor dem Reichstagsgebäude eine extrem rechte, verschwörungsideologische Dauermahnwache veranstalteten.

Leipzig 07.11.2020

Den vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung der sogenannten Corona-Proteste von Querdenken hin zum Schulterschluss zwischen rechter Hooligan-Szene, Reichsbürger-Spektrum, Verschwörungsgläubigen und rechtsoffenen Corona-Wutbürgern bilden die massiven Ausschreitungen in Leipzig am 7. November 2020. Wie inzwischen zu jedem Querdenken-Großevent mobilisierte auch hier im Vorfeld das gesamte rechte und extrem rechte Spektrum von Parteien wie AfD und NPD über Identitäre bis zu Reichsbürgern und Neue Rechte. Gekommen waren dementsprechend auch erwartbar viele Neonazis und rechte Hooligans. Schon kurz nach Ende der Kundgebung durchbrachen die Teilnehmer*innen Polizeisperren und nahmen sich die Straße. Es kam zu Flaschenwürfen und Angriffen mit Pyrotechnik. Anwesende Journalist*innen wurden gejagt und teilweise vor laufenden Kameras zusammengeschlagen. Im Anschluss beeilten sich rechte Kanäle wie der von Martin Lejeune, der inzwischen zusammen mit der ehemaligen KDW-Pressesprecherin Anne Höhne bei fast jeder Querdenken-Demo als Youtube-Paar auftrat, die Geschichte zu verbreiten, Neonazis und Hooligans seien nicht Teil der Querdenken-Demonstration gewesen sondern hätten diese (wir erinnern uns an die „gekaperte“ Bühne) am späteren Abend erst „gekapert“ um die Auseinandersetzung mit der Polizei zu suchen.

Die Radikalisierung der Inhalte und Teilnehmer*innen der sogenannten Corona-Proteste von Querdenken bis KDW war im Laufe des gesamten Jahres und bleibt auch jetzt rasant. Inhaltlich sind die Maskenpflicht und die befürchteten Zwangsimpfungen, wahlweise mit oder ohne Microchips, schon lange nur noch ein kleiner Themenbereich. Qanon-Gläubige und klassische Reichsbürger teilen sich inzwischen oft, zumindest jenseits des offiziellen Bühnenprogramms, die inhaltliche Deutungshoheit mit altbekannten AfD-Parolen und neurechtem PEGIDA-Sprech. Im Stream des extrem rechten Internethetzers Oliver Flesch aus dem Backstage-Pavillon der Querdenken-Kundgebung aus Dortmund waren die Redebeiträge zu Corona-Maßnahmen meist nur noch im Hintergrund zu hören, während Flesch sich mit dem rechten Nachwuchs-Streamer Matthäus Westfal („Aktivist Mann“) über „muslimischen Bevölkerungsaustausch“, „offene Grenzen“ und „unkontrollierte Zuwanderung“ unterhielt. Rechte und Reichsbürger fordern und erhalten mehr und mehr thematischen Raum. Wer mit Neonazis demonstriert, wer die Infrastruktur von Rechten und praktisch ausschließlich rechte Medien, Youtube-Kanäle und Blogs nutzt, darf sich nicht wundern, wenn irgendwann rechte Erzählungen zum festen Teil und später zum Zentrum des transportierten Inhalts werden. Bei Querdenken war und ist diese Entwicklung von vorneherein teil des Programms.

 

Anne Frank, Sophie Scholl und Jana aus Kassel
Ein zentrales Thema auf den Querdenken Demonstrationen und den dort gezeigten Transparenten, Symbolen und Plakaten ist Antisemitismus und die Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus. Würde man nicht wissen, dass die Überschrift der Veranstaltung die Corona-Maßnahmen seien, könnte man bei so mancher Querdenken Kundgebung den Eindruck bekommen es ginge ausschließlich um die Verharmlosung des Holocaust und des Nationalsozialismus. Fast zwanghaft wirkt es, dass Teilnehmer*innen wie Redner*innen bei Querdenken Veranstaltungen praktisch keinen anderen Vergleich als den mit den ermordeten und verfolgten Juden oder den mit den Widerstandskämpfer*innen gegen den deutschen Faschismus zu kennen scheinen. Darin zeigt sich zum einen der jeder Verschwörungserzählung innewohnende strukturelle Antisemitismus und dessen Folgen und Wirkung und zum anderen sicherlich der zu solchen Anlässen immer wieder hervorbrechende tiefe Wunsch der rassistischen und antisemitischen deutschen Mehrheitsgesellschaft, sich auf so perfide wie widerliche Art von der eigenen Schuld zu befreien und dafür an den Opfern zu rächen, indem man sich selbst öffentlich mit den Opfern gleichsetzt und sich so nochmals an ihnen vergeht. In zahlreichen Telegram-Gruppen von Querdenken wurde auch gerne und immer wieder der Vergleich der eigenen Demonstrationen mit der Black Lives Matter Bewegung und vor allem der Vergleich und die Gleichsetzung von Polizeigewalt gegen Demonstrant*innen nach aufgelösten Querdenken-Demos mit dem rassistischen Mord an George Floyd zelebriert. Dies relativiert rassistische Polizeigewalt und delegitimiert die BLM-Proteste.

 

Anselm, Michael und die verfassungsgebende Versammlung

Peter Fitzek bei der Gründung des „Königreiches Deutschland“ am 16. September 2012

Ein zweites auffälliges Element von Querdenken, KDW und den gesamten sogenannten Corona-Protesten ist die Vorstellung der Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung. Dieser zu Grunde liegt die zentrale Idee der Reichsbürger-Bewegung, das Deutsche Reich bestünde weiter fort, die BRD habe bisher keine Verfassung und das deutsche Volk müsse diese nun auf einer einberufenen Versammlung gemeinsam beschließen. Speziell Michael Ballweg spricht bereits sehr früh schon von einer solchen Versammlung und lässt damit deutlich erahnen, dass sowohl seine Ideenwelt, als auch seine zukünftige Planung einer weiteren Entwicklung der Querdenken-Bewegung, schon immer Teile der Reichsbürger-Ideologie enthielten. In seiner Rede in Berlin am 29. August 2020 rief Ballweg eine verfassungsgebende Versammlung aus, die vierzehn Tage in Berlin campen und an einem Ersatz für das Grundgesetz arbeiten sollte. Spätestens hier hätte klar sein müssen, in welche Richtung Ballweg mit seiner Bewegung steuert. Am 15. November lud Michael Ballweg schließlich führende Mitglieder von Querdenken zu einem bundesweiten geheimen Strategietreffen nach Saalfeld ein. Ca. 100 Personen, darunter Michael Ballweg, der Rechtsanwalt Markus Haintz und der Rechtsanwalt Ralf Ludwig, trafen sich dort im, zum selbsternannten „Königreichs Deutschland“ gehörenden, Restaurant „Hacienda Mexicana“. Ballweg stellte den anwesenden Querdenken-Aktivist*innen Peter Fitzek, einen bundesweit bekannten, vorbestraften Reichsbürger (König Peter der I. von Deutschland) als einzigen Redner des Abends vor. Ziel des Treffens war die Vernetzung von Querdenken mit dem „Königreich Deutschland“. Das Treffen wurde im späteren Verlauf des Abends von der eintreffenden Polizei beendet. Ballweg versucht sich seitdem, mehr schlecht als recht, gegenüber der Presse und Teilen seiner eigenen Bewegung dafür zu rechtfertigen. Der zusammen mit Anne Höhne ebenfalls zum Treffen geladene Martin Lejeune springt ihm bei, indem er noch auf der Rückfahrt ein Video postet, in welchem er das Treffen als (wir erinnern uns wieder an die „gekaperte“ Bühne und die „eingeschleusten“ Hooligans) hinterhältige Falle darstellt. Die unschuldigen Querdenker seien hereingelegt und „in eine Falle gelockt“ worden. Doch selbst Lejeune muss im Video eingestehen: „möglicherweise arbeiten einzelne Querdenken-Strukturen mit Reichsbürgern zusammen“. Bei Querdenken folgen Austritte und Abspaltungen. Auf den Kanälen von Lejeune und Höhne wird es nach dem Reichsbürger-Treffen merklich stiller.

 

Querdenken: Spendenmaschine, Veranstaltungs-Industrie und Reiseunternehmen

Buchungsportal (Kaden Reisen), Alexander Ehrlich (Honk for Hope)

Was die KDW schon in ihren ersten Tagen verblüffend gut konnte, war das Eintreiben von Spendengeldern. Aktuell sammeln Anselm Lenz und Hendrik Sodenkamp 50.000 Euro über die Plattform Gofundme für die Gründung ihres neurechten Verlagshauses. Querdenken und die diversen Unterorganisationen der Bewegung wie der Zusammenschluss „Klagepaten“, der Busverband „Honk For Hope“, die Gruppe „Eltern stehen auf“, das Portal „Deutschland gegen Corona“, die inzwischen zu regelrechten Stars der Szene avancierten Moderatoren, Speaker, Autoren und Influencer von Nana Domena über Bodo Schiffmann und Samuel Eckert bis zum rassistischen Trommel-Trampel Stephan Bergmann haben nicht nur das fortwährende Klappern der Spendendosen auf jeder Veranstaltung etabliert, sie haben sich eine eigene Krisen-Industrie geschaffen. Ein sektenähnlicher Wanderzirkus, der mit zahllosen Bussen, Bühnen, Demonstrationen und Livestreams seit Beginn der Corona-Pandemie das Land durchkämmt und an der Wut und der Angst der Menschen sehr gut verdient. Netzpolitik.org schreibt dazu „Alleine der Querdenken-Erfinder Michael Ballweg soll im Frühjahr innerhalb weniger Tage 225.000 Euro eingesammelt haben. Wie viel Geld durch seinen Aktivismus bei ihm insgesamt eingegangen ist, dazu äußerte sich Ballweg auf Anfrage nicht“. Die Spenden verschwinden auf dubiosen Konten im europäischen Ausland. Neben den Spenden verdient ein Großteil der Querdenken-Industrie ihr Geld aber auch ganz offen an der phantasierten Revolution. Der Busverband „Honk For Hope“ unter dem Vorsitz von Alexander Ehrlich aus Wien organisiert nicht nur selbst fleißig verschwörungsideologische Querdenken-Demonstrationen, mit seinem Reiseunternehmen Kaden-Reisen verkauft Unternehmer Thomas Kaden aus Plauen bundesweit maskenfreie Busfahrten und Wochenend-Erlebnis-Trips zu allen Querdenken-Events des Landes. Kaden schrieb dabei schon zu Beginn der Proteste proaktiv Querdenken-Gruppen auf Telegram an und bot an, deren Demonstrationen mit Busfahrten zu unterstützen. Wenn die Mund-Nasen-Revolutionäre später ohne ihr gefälschtes Attest, mit Platzverweis und Verfahren am Hals nach Hause kommen, kümmern sich die Anwälte von „Klagepaten“ um Ralf Ludwig und Markus Haintz gegen einen kleinen oder größeren Obolus gerne mit Vordrucken um die Nachwehen des Wochenendes. Das bisher nur durch Youtube-Kanäle im Internet und Bücher in Kleinstverlagen lukrative Geschäft mit Verschwörungsmythen hat in der Corona-Pandemie eine eigene ganz reale Industrie hervorgebracht. Menschen wie Michael Ballweg, Bodo Schiffmann, Samuel Eckert, Markus Haintz, Ralf Ludwig, Alexander Ehrlich und Thomas Kaden leben von den auf Youtube und Telegram verbreiteten antisemitischen Verschwörungserzählungen um Corona, genauso wie von den völkischen Träumen eines neuen Deutschen Reiches und dem Hass der rechten Wutbürger und Hooligans.

 

Die Berliner Gruppe Querdenken30, ihr Umfeld und das Querdenken-Camp

Michaela Hoffmann „Del O‘ Brennan“ (ganz links), Dirk Scheller (ganz rechts)

Nach der Großdemonstration am 1. August 2020 bildete sich neben dem Kanzler*innenamt ein wildes Protestcamp der Querdenken-Teilnehmer*innen. Im Camp vor Ort waren meist eine relativ feste Gruppe an Teilnehmer*innen. Gründer und selbsternannter Leiter der „Querdenken30 – Zentrale Außenstelle Berlin“ war Dirk Scheller aus Heilbronn, ehemaliges Mitglied der dortigen Querdenken Gruppe und, seit dem Verlust seines Arbeitsplatzes während seines Aufenthalts im Camp, „Vollzeitquerdenker“. Die Gruppe Querdenken30 gründete sich in Teilen auch um eine kleine Gruppe ehemaliger Teilnehmer*innen der antisemitischen Kundgebungen von Attila Hildmann, die dort regelmäßig mit den, später in der Bewegung sehr beliebten „Love Wins“ Fahnen auftraten. Eine der Hauptfiguren dieser Gruppe war die Berliner Erzieherin Michaela Hoffmann („Del O‘ Brennan“), die auf diversen Kundgebungen bereits für ihre Youtube Kanäle „Blackbird Media“ und „freie Presse“ filmte. Regelmäßige Redner im Camp waren, der als „Superman“ bekannt gewordene Kleindarsteller, A. Voyatzis („Kal El“) und der radikalchristliche Prediger Samuel Adam Alder. Ein tägliches Videotagebuch aus dem Querdenken-Camp lieferte der rechte Medienaktivist Martin Lejeune, der auch in seiner Rolle im Camp selten als Journalist agierte und häufig eher Teil der Crew des Camps war. Unrühmliche Bekanntheit im Berliner Querdenken-Camp erlangte vor allem die erfolglose Regisseurin und Schauspielerin Lydia Dykier, indem sie vor laufender Kamera mit Martin Lejeune ausgiebig über das Errichten eines Galgens und das Erhängen von Menschen witzelte. Lydia Dykier, die aus dem Umfeld der Volksbühnenbesetzung und der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ heraus, schon sehr früh Teil der Proteste am Rosa-Luxemburg-Platz war und dort unter anderem dadurch auffiel, dass sie vor der Gegenkundgebung einen Hitlergruß zeigte und „Heil Hitler“ schrie, taucht in Videos von Lejeune auch schon lange vor dem Camp auf, fordert für die KDW eine klare Führerstruktur und beschimpft wiederholt Anselm Lenz. Der Lebensgefährte von Dykier, Dominik Lenz, war ein weiterer Dauergast im Protestcamp, und äußerte sich vor der Kamera von Martin Lejeune positiv zum Neonazi Attila Hidmann. Dykier schließt sich im Anschluss an das Camp kurzzeitig dem Kreis um Rüdiger Hoffmann (staatenlos.info) an und zieht sich dann gänzlich darauf zurück, auf Youtube ehemalige Theaterkolleg*innen zu bedrohen.

Joana Wolf auf einer Kundgebung von Attila Hildmann, Foto: Paul Hanewacker

Joana Wolf war wahrscheinlich das jüngste Mitglied im Berliner Querdenken-Camp. Die junge Berlinerin macht eine Ausbildung zur chemisch-biologisch-technischen Assistentin am Berliner Letteverein und trat vor ihrem Aufenthalt im Camp auch schon im Lustgarten auf Hildmann-Kundgebungen auf. Auch der Holocaustleugner Reza Begi und der Neonazi Eric Graziani waren regelmäßig im Querdenken-Camp. Reza Begi zog auch nach der Räumung des Camps am 14. August mit der Gruppe durch Berlin Mitte. Die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ belieferte das Protestcamp mit ihrer Zeitung und die damalige Pressesprecherin der KDW Anne Höhne war regelmäßig vor Ort. Anne Höhne berichtete zusammen mit Martin Lejeune später von der Räumung durch die Polizei. Lejeune, Höhne und andere Aktivisten saßen nach der Räumung mit dem Antisemiten Reza Begi in einem Cafe am Hauptbahnhof. Nach der Räumung des Querdenken-Camps wechselten viele Teilnehmer*innen in das Reichsbürger-Camp von staatenlos.info direkt vor dem Reichstag. Diese Dauerkundgebung bildete später einen wichtigen Ausgangspunkt für den sogenannten „Sturm auf den Reichstag“. Dirk Scheller versuchte im Spätsommer nochmals ein Querdenken-Camp in der Nähe des Kanzler*innenamts zu etablieren. „Querdenken30 – Zentrale Außenstelle Berlin“ nutzte hierbei immer wieder Infrastruktur der Berliner Corona-Rebellen und der Neonazi-Gruppe „Patriotic Opposition Europe“ (POE). Aufgrund mangelnder Beteiligung und nach internen Streits, brach Scheller diesen neuen Versuch eines Camps jedoch am 14. Oktober ab. Neben POE und den Corona-Rebellen ist die Berliner Querdenken-Gruppe auch vernetzt mit den „Christen im Widerstand“ um Kirsten Herbold und den sogenannten „Friedensfahrzeugen“ um Silke und Christian Voglmann, sowie dem „Netzwerk Impfentscheid“ um Andrea Feuer. Kirsten Herbold meldete unter anderem die Querdenken Kundgebung am 25.10. auf dem Alexanderplatz an. Die Kundgebung vor dem KOSMOS am gleichen Tag wurde von Christian Stockmann angemeldet. Im Umfeld der Gruppe tummeln sich auch einige rechte Berliner Youtuber*innen wie der Kanal „Berlin Berlin TV“, der Kanal „Videocesar“, der von Steve Maninkin betrieben wird, oder Stefan Michels alias „Stefan Raven“. Seit Mitte des Jahres taucht auch regelmäßig der ehemalige Hanf-Aktivist Oliver Becker alias „James Blond“ bei Aktionen der „Freedom Parade“ und bei Kundgebungen aus dem Reichsbürger-Spektrum auf.

Christian Reuter und Monica Felgendreher (Querdenken30)

Die Berliner Querdenken30 Gruppe ist von Beginn an geprägt durch zahlreiche innere Konflikte zwischen einzelnen Teilen der Gruppe. Mitte November rebelliert ein Teil der Gruppe um den bisherigen Hauptverantwortlichen Volkmar Zimmermann gegen Ballweg, zum einen wegen des Treffens mit Peter Fitzek, zum anderen weil Querdenken711 versucht Volkmar Zimmermann die Führung der Querdenken30 zu entreißen und an seiner Stelle als Regional-Verantwortliche Monica Felgendreher und Christian Reuter einzusetzen. Ende November führen diese Konflikte dazu, dass durch Querdenken711 die Führungspersonen der Querdenken30 Gruppe ausgetauscht werden. Auch der Entzug von Adminrechten in den Telegram-Gruppen von Querdenken30 und der eng verflochtenen „Freedom Parade“ um den als Captain Future auftretenden DJ Michael Bründel sorgen nochmals für innere Grabenkämpfe. Am 10. Dezember stellt Ballweg die Leitung von Querdenken30 vor und übergibt die Organisation der Proteste zu Silvester an das vierköpfige Team.

 

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