Teil 4 – Rechter Takeover und linke Antworten – Analyse und Strategien

Posted by noquerdenken on 2020/12/16

Neue Rechte” überholt “alte Rechte”
Über mehrere Jahrzehnte wurde die Rechte in der BRD von klassischen Neonazis oder Parteien, wie den Republikanern gestellt, die Mitte der 00er Jahre in Parteien wie PRO Deutschland oder “Die Freiheit” ihre politischen Wiedergänger fanden. All diesen Gruppierungen war gemein, dass ihr Kernthema stets eine “Ausländer raus”-Agenda war, die ihnen als Interpretationsrahmen für nahezu alle politischen Themenfelder diente. Mit dem Erstarken antimuslimischer Hetze nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001, gesellte sich zum biologischen Rassismus der Rechten (minderwertige Völker, höherwertige Völker) der Kulturrassismus in den Fundus rechter Ideologien. Eine besondere Glaubwürdigkeit hatten neonazistische, wie auch neurechte Gruppen in anderen Themenfeldern kaum. Wenn die NPD sich gegen NATO-Kriegseinsätze aussprach, so zündete deren Rhetorik kaum. Genauso wenig wie die Versuche sich als Antikapitalist*innen zu inszenieren. Ein Hauptgrund war vor allem, dass sich die eigene Klientel dafür kaum begeistern ließ. Dies wird allein schon deutlich, wenn mensch die thematischen Ausflüge der NPD in andere Themen mit ihren Kampagnen gegen Geflüchtetenunterkünfte vergleicht. Während eine Kundgebung unter dem Motto “Kein deutsches Blut für Öl!” vielleicht zwanzig Nazis hinter dem Ofen hervorlockte, so entwickelten sich die “Nein zum Heim!”-Mobilisierungen, welche 2013 bis 2016 bundesweit mehrheitlich von NPD-Strukturen getragen wurden, zu regelrechten Volksbewegungen. Von Außen betrachtet wirkte es oft so, als ob Kampagnen außerhalb der Themenfelder Geschichtsrevisionismus, Antisemitismus und Migration, eher von der NPD der Vollständigkeit halber umgesetzt wurden, um einem selbstgesteckten Anspruch gerecht zu werden. Eine Begeisterung, welche parteiintern die Mitglieder ergriff war hier nicht zu spüren. Ihre Versuche inhaltlich anderweitig Fuß zu fassen, scheiterten oft an einem Mangel an multithematischer Kompetenz und dem nötigen Personal um andere politische Felder dauerhaft bespielen und authentisch ausfüllen zu können. Die “alten” rechtspopulistischen und neonazistischen Parteien kommen aus einer Zeit, in der sie sich auf das Thema Rassismus festgenagelt haben und da auch nicht mehr rauskommen. Es sind aber auch Jahrzehnte der klaren politischen Trennlinien, denen diese Strukturen entstammen, die ihr Vorgehen geprägt haben und in denen sie die Hochzeit ihres politischen Wirkens erlebten. Diese Zeiten scheinen augenscheinlich vorbei. Oder doch vielleicht nicht?

Neonazi-Aktivist Rolf Dietrich aus Sachsen-Anhalt am 22. November 2014 in Marzahn

Was jedenfalls nicht von der Hand zu weisen ist, dass sich seit Mitte und Ende der 00er Jahre immer mehr Bewegungen und Zusammenschlüsse herausbilden, zu deren Geschäftsgrundlage es gehört die Existenz politischer Grenzen für nichtig zu erklären, was ihnen die Einbindung von Autor*innen oder Aktivist*innen ermöglicht, die auf Grund eines Migrationshintergrundes oder einer nicht dezidiert nationalsozialistischen Haltung, keinen Platz in klassischen Neonazistrukturen finden würden. Dieses Spektrum ist u.a. in geopolitischen Themen besser aufgestellt. Zudem sind diese Strukturen durch ihren Netzwerkcharakter eine unverbindliche Möglichkeit, die für Interessierte einen niedrigschwelligen Einstieg bietet.

Die Selbstdarstellung und Selbstwahrnehmung, keinem politischen Lager zugehörig zu sein, schafft eine zusätzliche Attraktivität für Menschen, die sich selbst so einordnen würden. Und dass sind verdammt viele Menschen. Sie haben das nicht erfunden, sondern sind auch selbst Produkt eines Zeitgeistes. “Von allem nur das, was dir selbst am besten gefällt und zu deiner individuellen Persönlichkeit passt”, sagt der Zeitgeist der neoliberalen Moderne und behandelt das Beziehen politischer Positionen, ähnlich wie die Produktauswahl beim samstäglichen Shoppingerlebnis. Diese Offenheit für alle Positionen ist eben auch eine Offenheit für rechte Positionen und in der Folge daraus auch eine Bereitschaft in der Praxis mit Rechten zu kooperieren.

Die Behauptung “weder links noch rechts” zu sein und die Praxis sich in ursprünglich linken Kampffeldern zu tummeln sorgt dafür, dass dieses Spektrum deutlich breitere Teile der Gesellschaft anzusprechen vermag. Wer zu einer aktuell laufenden Querfront-Bewegung dazustößt, hat zu Beginn seines politischen Einstiegs in der Regel keine Vorsozialisation in einer neonazistischen Subkultur. Diese Bewegungen können dadurch “unpolitische” Menschen eher ansprechen, mitziehen und durch ein breiteres Interesse an Themenfeldern diese zum Teil auch mit Kontinuität füllen.

 

Rückzug aus “unseren Themenfeldern” am Beispiel der Montagsmahnwachen
In der Öffentlichkeit sichtbar wurde diese Übernahme klassisch linker Themenfelder im Zuge der sogenannten “Maidan-Revolution” 2013, die Ukraine-Krieg und Krise zur Folge hatte. Während die Linke hierzulande nicht in der Lage war eine politische Antwort auf diesen Konflikt zu formulieren und bundesweit auf die Straße zu tragen, sprossen ab März 2014 überall sogenannte “Mahnwachen für den Frieden” aus dem Boden. Den Mahnwachen gelang es “unpolitische”, anpolitisierte Menschen, Rechte und Alternative auf ihren Veranstaltungen zusammenzuführen und für diese Menschen, die zum Teil das erste mal politisch aktiv wurden, regelmäßige Gemeinschaftserlebnisse zu schaffen. Zügig waren auch Ken Jebsen und COMPACT-Chefredakteur Jürgen Elsässer zur Stelle, auf diesen Veranstaltungen zu reden und diese für ihre Medienformate auszuschlachten – und wie sollte es anders sein, sich zur medialen Stimme dieser Bewegung zu machen und ihr rechtes und rechtsoffenes Publikum für die Mahnwachen zu mobilisieren. Da wo Themenfelder von Linken nicht mehr bearbeitet werden, ist es in der Regel nur eine Frage der Zeit, bis rechte Akteure die freigewordene Lücke mit ihren Inhalten füllen und sich darin einnisten. Ist dies erst einmal geschehen, bekommt mensch sie da schwer wieder raus.

Dieter Dehm, Lars Mährholz, Ken Jebsen

Der Ukraine Konflikt war zu Beginn seines Ausbruchs bis heute keine einfache Angelegenheit und hat es progressiven linken Kräften schwer gemacht, sich auf linke Kräfte vor Ort uneingeschränkt positiv zu beziehen. In der starken Identifikation mit der kurdischen Guerilla spiegelt sich nicht nur der Wunsch vieler Linker wieder, IS und AKP bezwingen zu wollen, sondern auch das Bedürfnis nach Identifikation mit einer politischen Kraft, die auf der richtigen Seite steht. Auch hier muss mensch allerdings attestieren, dass hier bei der BRD-Linken sehr viele Projektionen mit im Spiel sind. In der Regel sind die wenigsten militärischen Konflikte heutzutage einfach zu greifen, noch bringen sie für die Metropolenlinke die gewünschten linken Held*innen wieder, deren Motive auf Shirts, Buttons und WG-Kalendern einen würdigen Platz finden.

Das Bedürfnis in einem politischen und militärischen Konflikt sich auf Gleichgesinnte vor Ort beziehen zu können ist völlig verständlich. Allerdings ist dies mit dem Siegeszug des Kapitalismus schwieriger geworden. Die antikolonialen Bewegungen existieren nicht mehr, genau so wenig wie der Block sozialistischer Staaten, der diese in der Regel unterstützte. Die wenigen verbleibenden sozialistisch geführten Länder stehen mit dem Rücken zur Wand, leiden unter Embargos etc. Die verbleibenden linken und fortschrittlichen Guerillagruppen haben zum Teil ihre Waffen abgegeben und werden nicht selten zwischen geopolitischen Interessen zerrieben.

Linke müssen sich also daran gewöhnen, dass es in den aktuellen kriegerischen Konflikten keine Verbündeten gibt. Jedenfalls keine, auf die sich bedenkenlos bezogen werden könnte. Was aber immer möglich ist, ist die Forderungen zu formulieren die, ihre Richtigkeit nicht verlieren: Kein Krieg, keine deutschen Waffenlieferungen, keine Beteiligung Deutschlands an einer militärischen und politischen Eskalation!

Die Maidanproteste kippten in kürzester Zeit in eine militärische Auseinandersetzung zwischen der Oligarchen-Regierung und den Regierungsgegner*innen. In den Straßenkämpfen übernahmen relativ schnell faschistische Gruppen die führende Rolle. Eine der bekanntesten ist das sogenannte Azov-Batallion. Die BRD bejubelte diese Proteste auf dem Maidan, da sie den Weg für eine pro-europäische Regierung frei machen sollten. Das Ziel war klar: Mit einer Ukraine, die die politische und ökonomische Nähe zur EU sucht, ergibt sich für die Europäische Union und damit auch für Deutschland und verbündete NATO-Staaten die Möglichkeit neue Einflusssphären in der Region zu erschließen. Zu der hohen Anzahl an Faschist*innen unter diesen Musterdemokraten schwiegen die Kanzlerin und ihr Anhang. Linksliberale und durchaus reichweitenstarke Medien wie die TAZ hielten es über Monate nicht für nötig, die Rolle der Faschist*innen und ihr gewalttätiges Vorgehen gegen linke Teile des Protestes öffentlich anzuklagen. Erst viel zu spät wurde deren “Beteiligung” eingeräumt – zu einem Zeitpunkt wo die Rechten die dominierende Kraft innerhalb des Maidanprotestes stellten. Von Angriffen auf Mitglieder der Kommunistischen Partei, sowie auf deren Parteizentrale oder von der Schändung jüdischer Einrichtungen gab es nur wenig zu lesen. Was es aber zu lesen gab war Lobhudelei auf den pro-europäischen Kurs dieser musterdemokratischen Bewegung.

Ja, der Ukraine Konflikt war nicht einfach und ist es heute nicht. Dies hat aus unserer Sicht aber zu keinem Zeitpunkt gerechtfertigt, dass sich die Linke in der BRD in ein bleiernes, erdrückendes Schweigen zu diesem Thema hüllt. Frühestens nach den ersten Anzeichen eines faschistischen Takeovers des Maidanprotestes bis zur Annektion der Krim durch Russland wäre es für die Linke hierzulande möglich gewesen Gegenpositionen zu diesem Konflikt zu beziehen, die vertretbar und nachvollziehbar gewesen wären:

– Kein Verschweigen faschistischer Kräfte auf dem Maidan!

– Solidarität mit den angegriffenen Antifaschist*innen und Minderheiten in der Ukraine!

– Gegen NATO und EU-Interessen in der Ukraine!

Mit dem Umkippen der Situation in einen Krieg mit Russland wurde die Lage komplizierter. Aber wir reden von einem Zeitraum von fast einem Jahr, in dem es durchaus möglich gewesen wäre, ohne sich “die Finger zu verbrennen” Position beziehen zu können. Statt eigene Aktionen zu starten, wurde ein originär linkes Thema, nämlich die Auseinandersetzung um “Krieg und Frieden” den rechtsoffenen Friedensmahnwachen auf dem Silbertablett gereicht und kampflos überlassen.

Die Recherche und Dokumentation zu den Mahnwachen war aus einer antifaschistischen Sicht notwendig. Aber eine linke Perspektive auf den Ukraine-Konflikt ließ sich in den Dokumentationen zu den Mahnwachen nicht finden. In der Regel betrachten Recherchekollektive dies auch nicht als ihre Aufgabe. Leider. So wie es die Aufgabe sozialer Bewegungen sein sollte gegen rechte Vereinnahmungen vorzugehen, so sollten sich die Verfasser*innen von Antifa-Publikationen wenigstens die Mühe geben, Ansätze einer linken Perspektive anzureißen, die auch mit dem Thema zu tun hat, dass die Rechten gerade für sich vereinnahmen. Im Fall der “Mahnwachen für den Frieden” zeigte sich, dass der Rückzug linker Kräfte aus dem Antimilitarismus dafür gesorgt hatte, dass für Linke, die ihre Schwerpunkte anderswo setzen, kein Argumentations- und Interpretationsrahmen mehr geboten wurde, an dem sich hätte vielleicht orientiert werden können. Dementsprechend belief sich auch die Auseinandersetzung bürgerlicher und linksliberaler Medien mit den Mahnwachen vor allem auf das Monitoring antisemitischer und verschwörungsideologischer Positionen der Mahnwachen-Akteure. Durch die Abwesenheit einer wahrnehmbaren linken Kraft in der öffentlichen Debatte sowie auf der Straße gelang den Springer-Knechten der Kunstgriff, Kritik an einer NATO- und EU-Expansion als rechte Position einzuordnen. Medien wie dem Tagesspiegel kam die linke Grabesstille zu diesem Thema nur recht, da sie den Anti-Russland-Kurs der Bundesregierung und deren EU-Interessenpolitik stützen, und logischerweise keine Lust haben eine linke Position dazu abbilden zu müssen, geschweige denn diese zu formulieren. Warum sollten auch gerade sie das tun?

Recherche zu den Mahnwachen existierte quasi parallel zur Berichterstattung über den Ukrainekonflikt, welche sich zum Großteil in der Jungen Welt, dem Lower Class Magazine und dem ND abspielte. Die rechtsoffene Querfront konnte sich somit als einzige politische Kraft inszenieren, die zu diesem sich anbahnenden Krieg Stellung bezog und all ihre Kritiker*innen als Vasallen des BRD- und EU-Imperialismus darstellen.

 

Wiederaneignung unserer Themen
Der Grund für eine Abkehr der Linken von antimilitaristischen Themen ist eng verbunden mit dem erneuten Hochkochen des Nahostkonfliktes zu Beginn der 00er Jahre. Die Diskurse dieser Zeit führten unter anderem zu einer Delegitimierung antimilitaristischer Politik. Gerade im Bereich geopolitischer Konflikte wurde die Linke in Deutschland dadurch vorsichtiger und zunehmend stiller. Der Kampf gegen hohe Mieten, Neonaziaktivitäten oder die Räumung linker Projekte, also Dinge die vor der eigenen Haustür passieren, wurden zu bestimmenden Themenfeldern. Es ist richtig genau da aktiv zu werden wo wir leben, wir praktizieren selbst diesen Ansatz. Im Falle globalerer Konflikte oder geplanter Gesetzesverschärfung auf Bundesebene wird uns linke Kiezarbeit allein allerdings nicht weiterhelfen.

Mit dem flächendeckenden Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes steht ein weiterer Vorstoß im Bereich der alltäglichen, digitalen Überwachung im Raum. Sich diesem Problem mit einer linken Techkritik anzunähern macht Sinn, weil es einfach alle Menschen betrifft, aber auch weil die Verschwörungsgläubigen bereits eifrig dabei sind ihre 5G-Verschwöhrungsmythen zu spinnen.

Aus unserer eigenen Erfahrung als Gruppe wissen wir selbst, dass es nicht immer einfach ist neben dem laufenden Alltagsbetrieb im Bereich Antifaschismus noch andere Themenfelder wirklich dauerhaft zu bespielen, ohne wieder andere Projekte auf Eis legen zu müssen. Das ganze ist darum nicht unbedingt eine Frage von Desinteresse, sondern vor allem eine der Organisation. Es bedarf darum Gruppen, die in der Lage sind langfristig an unterschiedlichen politischen Kampffeldern dran zu bleiben, die auch beim “Aufploppen” gesellschaftlicher Ereignisse in der Lage sind zu reagieren. Dies setzt wiederum voraus, dass unsere Strukturen thematische Arbeitsgruppen bilden, die politische Kontakte aufbauen und halten, sowie Analysen und Aktionsfähigkeit entwickeln. Alternativ oder auch zusätzlich dazu müssen Bündnisse aufgebaut werden, die konstant an Themen arbeiten. Im Bereich Antimilitarismus stimmen Kampagnen wie beispielsweise “Rheinmetall entwaffnen” sehr zuversichtlich.

 

Wir können nicht alle retten

Querdenken Demonstration in Berlin 25. Oktober 2020, Foto: Kim Winkler

In der Struktur und in ihrer Entwicklung gleichen die Proteste der Corona-Querfront in vielerlei Hinsicht den “Mahnwachen für den Frieden”. So wie wir oben ausführlich dargelegt haben, dass Antimilitarismus Teil eines linken Selbstverständnisses und einer linken Praxis zu sein hat, so können wir an dieser Stelle kurz und knapp sagen, dass uns der ganze Zirkus den die Impfgegner veranstalten inhaltlich null interessiert. Das gleiche gilt für die Pseudorebellion gegen das Tragen von Masken und das Einhalten von Mindestabständen. Was uns höchstens daran interessiert ist, dass sich diese Positionen nicht weiter verbreiten. Es sind nicht unsere Themen. Und genau deswegen ist jedes “man muss ja die Sorgen der Leute ernst nehmen” in diesem Zusammenhang bloßer Opportunismus gegenüber Personen, die wissenschaftsfeindlich, faktenresistent und egoistisch agieren. Nur weil Menschen in großer Masse auf die Straße gehen, heißt dies nicht, dass deren Anliegen fortschrittlich sind.

Auch bei Themenfeldern die unsere sind, müssen wir uns vor Augen halten, dass wir mit guten Texten und aussagekräftigen Demos nicht jede*n einfach so auf unsere Seite ziehen können. Es gilt anzuerkennen, dass es immer Menschen geben wird, die genau auf das politische Angebot, was die “Friedensmahnwachen” oder die “Corona Rebellen” stellen 100% Bock haben und auch nichts anderes wollen.

 

Inhaltliches Fazit: What to say
Eine antifaschistische Linke sollte sich intensiv mit dem Phänomen der verschwörungsmytischen Anti-Corona-Mobilisierungen auseinandersetzen und diese nicht als politischen Nebenwiderspruch behandeln. Den Antifaschismus links liegenlassen und sich auf soziale Kämpfe in den Kiezen zu konzentrieren, wie von einigen postantifaschistischen Akteuren postuliert, wird die Wirkungsmächtigkeit verschwörungsideologischer Inhalte in der Mehrheitsgesellschaft nicht neutralisieren. Zwar ist der Ansatz klassenkämpferisch in den eigenen Kiezen im Rahmen der Krise zu agieren durchaus richtig, doch rennt uns in Anbetracht des horrenden Mobilisierungspotenzials der verschwörungsideologischen Szene auf der Straße und in den sozialen Media schlichtweg die Zeit davon. Denn eins ist sicher, das durch die reformistischen Gewerkschaften und die Kulturindustrie suspendierte Klassenbewusstsein der Arbeiter*innen in Deutschland zu reanimieren, wird seine Zeit brauchen. Hier ist eine klare antifaschistische Expertise vonnöten, welche mit guten Recherchen, Analysen und Gegenmobilisierungen brilliert und mit klaren sozialen Forderungen politisch agiert. Aus einer historisch-antifaschistischen Perspektive waren verschwörungsideologische Inhalte, in Kombination mit der sich verschlechterten wirtschaftlichen Situation der Arbeiter*innen und des Kleinbürgertums, ein wesentlicher Teil der deutschnationalen und nationalsozialistischen Mobilisierung in der Weimarer Republik und führten letztendlich zur Machtübergabe an die DNVP und NSDAP. Die offensichtlichen Widersprüche des modernen Kapitalismus werden von den Verschwörungsgläubigen im Gegensatz zur analytischen Kritik einer modernen Linken, nicht auf das kapitalistische System als solches zurückgeführt, sondern auf vermeintlich böse Mächte, die dieses System beherrschen sollen, die in Folge dessen für alle Schändlichkeiten des Kapitalismus verantwortlich gemacht werden. Demzufolge sollten wir klare soziale Forderungen zur Bewältigung der Auswirkungen sozialer Schieflagen im Rahmen der sich anbahnenden Wirtschaftskrise stellen. Begrifflichkeiten wie die „Herrschenden“ und die „Eliten“ welche auch von Verschwörungsgläubigen verwendet werden, sollten wenn sie von uns verwende werden, klar ausdifferenziert werden. Dabei sollten die Fragmentierungen des Kapitals und der bürgerlichen Parteien im Rahmen der Krisenbewältigung berücksichtig und analysiert werden. Das heißt konkret, welche Fraktionen des Kapitals profitieren von der Krise und können für die entsprechenden sozialen Einschnitte, im Rahmen der sich anbahnenden Wirtschaftskrise, verantwortlich gemacht werden. Des Weiteren sollte sich eine antifaschistische Linke in der Kritik an den Anti-Corona-Maßnahmen, eine wissenschaftliche Betrachtungsweise aneignen. Gibt es eine seriöse wissenschaftliche Alternative zu den momentanen Kontaktbeschränkungen oder wären wir als linke Akteure, in einer wie auch immer sozialistisch, anarchistisch oder kommunistisch strukturierten Gesellschaft zu analogen Regelungen in der Bekämpfung einer gefährlichen Pandemie gezwungen.

 

Praktisches Fazit: What to do
Die Teilnehmer*innenzahlen der sogenannten Corona-Proteste haben in den ersten Wintermonaten 2020 kontinuierlich abgenommen. Das Mobilisierungspotential der rechtsoffenen Akteure von KDW bis Querdenken scheint seinen Gipfel überschritten zu haben. Sicherlich spielen die winterlichen Temperaturen und zunehmende staatliche Repression auch eine Rolle, dennoch darf attestiert werden, dass kontinuierliche antifaschistische Recherchen einen wichtigen Teil dazu beigetragen haben, den verschwörungsideologischen Wanderzirkus in der öffentlichen Wahrnehmung als das zu entlarven was er von Anfang an war: Eine brandgefährliche rechte Querfrontmobilisierung, eine Mimikry die geschickt eine Bürgerrechtsbewegung imitiert, hinter deren Maske sich aber rechte, neoliberale, nationalistische und völkische Erzählungen verbergen. Auch darf nicht vergessen werden, dass es zwar deutlich zu lange gedauert hatte, bis bundesweit breite Gegenmobilisierungen organisiert waren, dass aber dennoch speziell in Berlin fast vom ersten Tag an kleine Gruppen hartnäckigen Widerstand gegen die rechte Raumnahme leisteten. Dies konnte zwar nicht verhindern, dass die Bewegung bundesweit auf ein erschreckendes Ausmaß anwuchs, führte über das Jahr hinweg aber doch zu deutlichen Einbrüchen in der Wirkung der Bewegung in die Gesellschaft. Vieles ist falsch gelaufen, alles aber nicht. Aus beidem, dem was falsch gelaufen ist, wie aus dem was funktioniert hat, können und müssen wir als Linke und Antifaschist*innen lernen, um zukünftig besser, schneller und schlagkräftiger auf diese und kommende rechte Querfront-Bewegungen reagieren zu können.

Den ersten und wohl wichtigsten Punkt haben wir oben bereits herausgearbeitet. Es gilt, neu entstehende gesellschaftliche und politische Themenfelder nicht leerstehen zu lassen und somit rechten Kräften die Möglichkeit zu bieten, diese zu besetzen. Es ist unsere Aufgabe als radikale Linke neuen Themen, so komplex, brisant oder schmerzhaft sie auch seien nicht zu umgehen, sondern zu bearbeiten, um emanzipatorische, antikapitalistische und antifaschistische Antworten auf Krisen des Systems zu finden.

Der zweite Punkt ist so alt wie wahr: Never let the fascists have the streets. Rechten und reaktionären Mobilisierungen dürfen wir, egal unter welchen Umständen, egal zu welchen Zeiten, egal zu welchen Themen und egal wie heterogen sie auch auftreten, niemals die Straßen überlassen. Antifaschismus muss, gerade in Zeiten weltweiter autoritärer Formierungen, oberstes Gebot radikal linker Politik und Praxis sein. Rechten Querfront-Versuchen muss die Maske vom Gesicht gerissen und laut widersprochen werden. Ganz praktisch heißt das, nicht erst in breiten Bündnissen auf die Straße zu gehen, wenn altbekannte Nazikader mit Trommeln und Fahnen aufmarschieren, sondern auch dem scheinbar bürgerlichen Schweigemarsch rechtsoffener Impfgegner*innen oder angeblich besorgter Eltern im Kiez entschlossen entgegenzutreten.

Den dritten Punkt hatten wir in diesem Absatz bereits erwähnt, und er zählt ohne Frage zu dem, was im Kontext der rechten Corona-Mobilisierung 2020 am schnellsten und gerade in den ersten Monaten noch am besten funktioniert hat: Konsequente antifaschistische Recherchen. Es ist von immenser Bedeutung, gerade naturgemäß heterogene Mobilisierungen wie die schon erwähnten Friedensmahnwachen oder in diesem Fall die Anfänge der sogenannten „Hygiene-Demonstrationen“ unablässig und akribisch zu beobachten um frühzeitig erkennen zu können, welche Netzwerke und Akteure sich hinter den scheinbar „spontanen Bürgerprotesten“ verbergen. An dieser Stelle sei den Genoss*innen, die diese zeitaufwändige und nicht ungefährliche Arbeit leisten, ein großer Dank ausgesprochen.

Direkt verbunden mit der Recherche ist der vierte Punkt, da er diese meist zur Grundlage nimmt: Das Offenlegen und Bekanntmachen der beteiligten Akteure und Netzwerke sowie deren Verbindungen und Geldquellen ist elementar im Kampf gegen die neue Corona-Rechte, sowie gegen jede andere rechte Querfront-Bewegung. Es ist immens wichtig, Recherche-Ergebnisse früher als bei Recherchen zu klassischen Neonazi-Strukturen zu veröffentlichen, um die Mobilisierungs- und Anschlussfähigkeiten der rechten Erzählung von Beginn an zu schwächen. Im Fall der sogenannten Corona-Proteste hat die bürgerliche Presse erschreckend lange noch von „Protesten gegen die Corona-Maßnahmen“ geschrieben, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits hätte klar sein können, mit welchen Akteuren mensch es hier zu tun hat. Mit Bekanntwerden der Strukturen hinter Querdenken und vor allem auch der Geldflüsse der zahlreichen Spenden- und Schenkungs-Aufrufe, konnte die Bewegung nach außen wie im Inneren deutlich geschwächt werden.

Verbunden mit den finanziellen Konstrukten und Interessen der verschiedenen Medienplattformen, Youtube- und Telegram-Influencer*innen, Veranstaltungs-Teams, Spendenkampagnen, Anwaltszusammenschlüssen sowie Reise- und Busunternehmen zeigt sich eine weitere wichtige Säule dieser neuen Bewegung, die es anzugreifen gilt. Fünfter und letzter Punkt unserer Analyse ist der konsequente Angriff auf die Infrastruktur der Bewegung. Denn so wichtig dieser neu entstandenen rechten Massenmobilisierung ihre kleine Industrie aus Unternehmen, Kanzleien und Dienstleister*innen ist, so angreifbar ist sie dort auch. Denn für alle Beteiligten wird und muss es eine Zeit nach Corona und eine Zeit nach Querdenken geben. Die Medienportale und Influencer der Szene werden noch am einfachsten weiterziehen können, da die meisten unter ihnen schon vor der großen „Coronaverschwörung“ ihr Geld mit ständig wechselnden „Wahrheiten“ und der Radikalisierung ihrer Anhänger*innenschaft verdienten. Doch für viele Unternehmen, Dienstleister*innen oder Kanzleien, kann es später überlebenswichtig sein, den Fleck auf dem Firmenimage schnell verschwinden zu lassen. Hier gilt es jetzt schon anzusetzen und beteiligte Unternehmen und Dienstleister*innen zu benennen und konsequent so zu behandeln, wie es für Firmen angemessen ist, die rechte und rechtsradikale Mobilisierungen unterstützen.

 

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